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Linolschnitt heute X.  Galerie Bietigheim-Bissingen

Schöne Haussicht, Galerie Stapflehus, Weil am Rhein

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Realität oder Traum

 

Minka Strickstrock setzt sich mit dem Weiler Stapflehus auseinander

 

Von Jürgen Scharf Lörrach.

 

Es ist keine klassische Ausstellung, die man derzeit im Kunstverein Weil am Rhein in der Städtischen Galerie Stapflehus sieht. Minka Strickstrock gibt keinen aktueIIen WerküberbIick, hat keine Bilder an die Wand gehängt oder Arbeiten auf Podeste gestellt. Sie hat ein Raumkonzept erarbeitet und präsentiert eine ungewöhnliche Fotowerkschau. Schon der Titel „Schöne Haussichten“ ist hinter: und doppelsinnig. Die in Lörrach lebende Künstlerin hat sich intensiv mit den Räumlichkeiten des alten Stapfelhauses beschäftigt und die Räume in ihre Raum-Installation mit einbezogen. Immer wieder stößt man auf Fenster. Die Fenster wurden nicht nur fotografiert, sondern regelrecht freigelegt. Es ist ein zusammenhängendes Thema durchs ganze Haus entstanden, eine Spurensuche nach neuen Ausblicken. Die Raumausschnitte passen perfekt aufs Haus. Eine Ausstellung wie aus einem Guss: ein Gesamtkunstwerk.

 

Der Besucher reibt sich verwundert die Augen - manches ist kaum wiederzuerkennen. Ein altes Fenster, das 20 Jahre lang hinter einer weißen Ausstellungswand einen Domröschenschlaf führte, wurde wieder ins Gedächtnis geholt und geöffnet, ein Wandstück herausgesägt, aber sonst nichts verändert. Die Spinnweben, der Staub, der abgebröckelte Putz wurden genauso belassen wie die schmutzig grauen geschwärzten Gardinen. Man kommt sich vor wie in einem Bauernmuseum, als wäre hier plötzlich eine andere Zeitepoche archiviert. Minka Strickstrock hat dieses vergessene Fenster wie eine Archäologin bloßgelegt. Man kann es jetzt hinter einer Plexiglasscheibe betrachten. Es hat die Wirkung einer TheaterkuIisse.

 

Das Fenster zieht sich wie ein Leitmotiv durch diese Schau. Es macht einen stutzig, wenn man die Wendeltreppe hinaufsteigt: Diese Aussicht kommt einem gänzlich unbekannt vor. Die Himmelsrichtung stimmt nicht, die Ausblicke wurden vertauscht. Da spielt eine Künstlerin mit unserer Wahrnehmung, die mächtig durcheinandergerät.

 

Das obere Stockwerk ist total abgedunkelt, die richtigen Fenster sind abgedeckt. Dafür wird ein imaginäres Fenster aufgestoßen: Zwei Filmprojektionen mit einem flinken kleinen Jungen, der durch die Fenster heraus- und hereinklettert, sorgen für heitere Imitation. Auch hier stimmt nichts mit der Wirklichkeit überein - aber das ist Prinzip bei dieser Ausstellung, die zwischen Realität, Fiktion und Aussicht laviert. Mit ihren neuen Innenraum-Situationen gibt Minka Strickstrock raffinierte Anstöße und Anregungen zum Sehen. Das geht so weit, dass sie eine tragende Säule mit einer Steintapete verkleidet. Optische Täuschungen. Was wie echtes Mauerwerk aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung durch ein Guckloch als optische Täuschung. Bis zum Dachboden erzählt die Künstlerin Geschichten. Sie öffnet nicht nur ein Fenster zum Hof (wobei sie schon im Titel Rear Window Anspielungen auf den gleichnamigen Hitchcock-Thriller macht, in dem das ständige Schauen aus dem Fenster eine Rolle spielt), sondern klappt auch ein Foto-Fenster wie eine Flügelalter auf, ein typischer Trompe-l’œil - Effekt.

 

Originell ist auch die Fotoserie auf durchsichtigem Vinyl - Fotografien von innen nach außen, zeigen, jeweils vier hintereinander hängende Aufnahmen die gegenüberliegende Kirche und die Parkplätze im Verlauf von 24 Stunden: gleiche Position, andere Tageszeiten, mit Uhrzeitangabe und chronologisch sortiert. Nicht nur die Basler Kunsthistorikerin Andrea Domesle hat sich da gefragt: Realität oder Traum? Auch dem Besucher wird es bei diesem Haus-Besuch nicht anders ergehen.

 

29.10.2011

 

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aus krummem Holze, BBK Württemberg/Stuttgart

Dr. Barbara Lipps-Kant, Einführungsrede

 

 Tübingen, den 17. Juni 2003

 

Einführung in die Ausstellung „Minka Strickstrock - Aus krummem Holze“ am 29. Juni 2003 im Bund Bildender Künstlerinnen Württembergs, Stuttgart, Eugenstraße.

 

Meine Damen und Herren, sehr verehrte Minka Strickstrock, wieder zu Gast in

diesem schönen Haus, wieder in anregender Gesellschaft, wieder im Dialog mit einer Gastkünstlerin Minka Strickstrock aus Weil am Rhein ich freue mich über Ihr Kommen und Ihr Interesse!

 

Minka Strickstrock, eine enge Freundin der zuvor präsentierten Malerin und

Objektkünstlerin Erika Seifert-Weissmann, nimmt in einer mehrteiligen Installation Weltdeutung in ganz anderer Weise vor. Sperrig, ja kühn ist diese Kunst, die sich mittels Raumauslotung, Zeitmessung und Reihung artikuliert. Eine Installation ist einem Wortfeld vergleichbar. Wie in der Sprachform wird ein ganzer Erfahrungs- und Erkenntnisbereich, der der menschlichen Haut im weitesten Sinne abgedeckt oder erörtert.

Der Titel der Installation, „Aus krummem Holze“, geht auf Immanuel Kant, genauer auf seine Schrift „Idee zu einer allgemeinen Geschichte“ zurück. Er behandelt darin die Entwicklung des Menschen, seine Ungeselligkeit und den daraus resultierenden krüppligen, schiefen und krummen Wuchs. Kultur und Kunst sind Ergebnisse dieser Widerstände. Und im sechsten Satz heißt es „aus so krummem Holze, als worausder Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.“(TBWA, 1977, Xl, S. 400)

Entstanden aus den die damalige Kunstszene revolutionierenden Ideen des

Bauhauses sowie Experimenten der Dadaisten und Surrealisten - Environnement, Objet Trouve und Assemblage gehören in diesen Zusammenhang, auch der Merzbau von Kurt Schwitters im erweiterten Sinne kommt Installationen heute immer größere Bedeutung zu. Hier stehen wie selbstverständlich drei Regale im Raum. In den Fächern aufgereiht 125 Lichtwürfel, jeder mit der Kantenlänge 10,8 cm, die in unterschiedlichen Inkarnattönen glimmen. Klaus Ebner spricht in dem Portrait M.S- im Magazin Puls von in Regalen platzierten Hautlampen, die ein eigenartiges Licht ausstrahlen. Hell und ebenmäßig bis schrundig und mit Flecken übersät sind diese Leuchtbilder, die, Farbphotographien menschlicher Haut in verschiedenen Lebensaltern darstellend, im Durotransverfahren bearbeitet sind. Chronologisch angeordnet - die Photographie, die vom Handrücken eines einjährigen Kindes genommen ist, steht am Anfang der langen Reihe, jene vom Handrücken eines 125-Jährigen soll den projektierten Schluss bilden. Altern als Zeitprozess, als Veränderung als fortschreitender Wandel aber auch als Vielfalt begriffen. Nicht alle der Plexiglaskästchen sind mit vergrößerten Hautbildern versehen. Einige bleiben, wie Klaus Ebner anmerkt, „nackt“, d.h., sie tragen die von der Firma mitgelieferte Schutzfolie, in die Buchstaben eingefügt sind. Einige Lebensalter, vor allem die späteren Jahrgänge, sind noch nicht photographisch dokumentiert, sei es aus Mangel an geeigneten Modellen, sei es auch, weil besonders alte Menschen oftmals wenig Sinn für diese Art der Kommunikation haben oder weil das allmähliche Wachsen der Installation als Bild beabsichtigt ist. Das scheinbar Unfertige wird zum Symbol. Eine Arbeit in progress also, eine Installation, die seit 2001 im Entstehen begriffen ist.

Dazu ein hängender Würfel, „Lichthautwürfel“ nennt ihn die Künstlerin, dessen Kantenmaß 54 cm beträgt. In seinen sechs Feldern sind, ebenfalls im Durotransverfahren, sechs Lebensalter gefasst. Mit seiner Oberfläche von 1,75 Quadratmetern, das entspricht der durchschnittlichen Hautoberfläche eines erwachsenen Menschen, ist auch er Sinnbild, Erklärung und Deutung. Welch eine kompromisslose, klare Sprache! Welche fast naturwissenschaftlich experimentell anmutende Aussage! Welche Bandbreite schöpferischer Erkenntnis! Das Erschauern vor der Schöpfung findet hier in anderer als der gewohnten Weise statt. Minka Strickstrock äußert sich über ihren künstlerischen Ansatz mit folgenden Worten: „Meine Arbeiten handeln vom Umgang des Menschen mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur. Ich interessiere mich für die Illusionen, derer das zivilisierte Leben bedarf, um die menschliche Ohnmacht gegen die Natur abzu- mildern. Es interessiert mich auch, wie wir in einer Zeit der angeblichen Individualisierung mit der kollektiven Vereinnahmung umgehen. Der eigene Körper wird oft zum letzten Referenzpunkt der menschlichen Selbstbehauptung.“

Meine Damen und Herren, wer ist die Künstlerin, von der diese dezidierte und präzise Aussage stammt? Geboren 1965 in Freiburg im Breisgau, der Wunsch Künstlerin zu werden, stand von Kindheit an fest, besuchte sie 1988-1989 die Schule für Gestaltung in Basel, wechselte nach Freiburg, ein viersemestriges Graphikdesignstudium schloss sich an. Danach, ebenfalls in Freiburg an der Freien Akademie der Bildenden Künste intensive Beschäftigung mit Malerei. Schließlich 1994-1996 ein erneuter Aufenthalt an der Schule für Gestaltung in Basel mit dem Schwerpunkt Drucktechnik. Gleichzeitig ist Minka Strickstrock ab 1994 als freie Künstlerin tätig. 1996 bezieht sie ein Atelier im Kulturzentrum Kesselhaus in Weil am Rhein. Dort habe ich sie zur Vorbereitung vor wenigen Wochen besucht. Beeindruckt hat mich damals nicht nur die Klarheit ihrer künstlerischen Diktion, sondern sie selbst und ihre ganz auf Installationen setzende Vision. Die Künstlerin stellt seit 1990 regelmäßig aus, nimmt an Gruppenpräsentationen teil und veranstaltet Einzelausstellungen. Zwei Arbeiten von ihrer Hand befinden bzw. befanden sich im öffentlichen Raum: „Stein-Zeit“, eine begehbare Sonnenuhr, entstanden in Zusammenarbeit mit Erika Seifert-Weissmann, gefertigt 1999 für die Landesgartenschau in Weil am Rhein, wurde von der Stadt weil übernommen. „Metamorphosen“, geschaffen für einen Würzburger Wettbewerb, in drei hohen Plexiglaszylindern wurde der Prozess der Reifung und des Vergehens von Obst einen Sommer lang dargestellt, für diese Plastik erhielt die Künstlerin im Jahr 2000 den Kunstpreis Schauplatz Schenkenturm in Würzburg. Arbeiten von Minka Strickstrock befinden sich in öffentlichen Kunstsammlungen und in privatem Besitz. Und wer denkt, dass diese im wahrsten Sinne sperrige Kunst kaum Liebhaber findet, der irrt. Gerade in diesen Tagen arbeitet sie an einer mehrteiligen Installation für einen privaten Kunstsammler. Da zieht Eine aus, künstlerisch hochbegabt von Kindheit an, studiert gegen alle Widerstände die klassischen Kunstdisziplinen und Techniken, um sich am Ende für die einzig ihr gemäße Ausdrucksform, die Installation, zu entscheiden! Dazu gehört Mut und Selbstbewusstsein. Von uns aber, an die ihre Botschaft gerichtet ist, erwartet sie ein Sich-Einlassen auf Objekte und Vorstellungen. Dr. Andrea Vegh, die österreichische Kunsthistorikerin, die auch in meinem früheren Vortrag zu Wort kam, schreibt über Minka Strickstrock anlässlich der Ausstellung „Funktion und Emotion“ 2001 im Stapflehus in Weil am Rhein: „Minka Strickstrock arbeitet an grundsätzlichen Themen ... Das Faszinierende an allen ihren künstlerischen Arbeiten ist, daß sie neue, streng auf einfachste Form reduzierte Ordnungssysteme außerhalb eines gemeinsam bekannten Kanons schafft. Ihre Werke nehmen sowohl Bezug auf Gesetzmäßigkeiten in der Natur, als auch auf individuelle Geschichte. Dabei sind diese im Detail sofort, im Gesamtzusammenhang jedoch erst erfassbar, wenn Betrachtende sich mit allen Sinnen darauf einlassen.“ Sie fährt fort: „Ihre Werke verlangen explizit nach Anteilnahme. Ein Beispiel: die menschliche Haut altert. M. Strickstrock zeigt diesen Vorgang in Kuben die mit Fotografien von Haut umgeben, auf Regalen plaziert sind.“ Ferner heißt es: „Ihre Installationen und Skulpturen sind einerseits minimalistisch reduziert und gleichzeitig in der Art ihrer Anordnung voller Möglichkeiten zu vielfältigen Assoziationen. Damit läßt sich Geschichte bedenken, werden neue Nennungen gelebter Geschichte möglich und letztlich ein Innehalten in einer Zeit rasender naturwissenschaftlicher und technologischer Entwicklung.“ Diese Kunst, die im Kontext mit dem Ravensburger Bräg steht aber auch Werke von Andreas Hoffmann in Pfullingen tangiert, befindet sich im Kontrast zur Vorstellung vom gläsernen Menschen, die uns als greifbare Vision von Medizinern und naturwissenschaftlichen Forschern suggeriert wird. Die Euphorie des Machbarkeitswahns hat schon Aldous Huxley in den frühen dreissiger Jahren in „Brave New World“ beschrieben und ironisch persifliert. Im Rausch des „Alles ist möglich“ bleibt die Metaphysik auf der Strecke. Wir bedürfen starker Künstlerpersönlichkeiten wie Minka Strickstrock, die Zeugnis ablegen über Reichtum und Vielfalt der Natur. Eine Ausstellung, die Haut zum Thema erhebt, die sich mit der Darstellung von Lebensaltern befasst - nein, nicht in Allegorien wie zur Zeit der Renaissance, sondern hautnah - mit Material und Methoden der heute dominanten Naturwissenschaft erarbeitet, eine Ausstellung, in der sich Gedanken über das Selbst mit solchen über die Menschheit mischen, preist die Schöpfung als etwas Großes, Geheimnisvolles, Unbegreifliches. Voller Bewunderung für Minka Strickstrock und ihre beeindruckende Installation empfehle ich diese Kunst Ihrer aller Betrachtung. Denn ihr Werk, ästhetisch schön, aber darauf kommt es nicht an, erschließt sich erst allmählich, in größeren oder kleineren Schritten und vielleicht auch niemals ganz.

 

 

Katalogtext

 

Minka Strickstrock arbeitet an grundsätzlichen Themen, die jedes (Menschen)Leben betreffen.

Das Faszinierende an allen ihren künstlerischen Arbeiten ist, dass sie neue, streng auf einfachste Form reduzierte Ordnungssysteme außerhalb eines gemeinsam bekannten Kanons schafft. Ihre Werke nehmen sowohl Bezug auf Gesetzmäßigkeiten in der Natur, als auch auf individuelle Geschichte. Dabei sind diese im Detail sofort, im Gesamtzusammenhang jedoch erst erfassbar, wenn Betrachtende sich mit allen Sinnen darauf einlassen. Ihre Werke verlangen explizit nach Anteilnahme. Ein Beispiel: Die menschliche Haut altert. M. Strickstrock zeigt diesen Vorgang in Kuben, die mit Fotografien von Haut umgeben, auf Regalen platziert sind.

Ihre Installationen und Skulpturen sind einerseits minimalistisch reduziert und gleichzeitig in der Art ihrer Anordnung voller Möglichkeiten zu vielfältigen Assoziationen. Damit lasst sich Geschichte bedenken, werden neue Benennungen gelebter Geschichte möglich und letztlich ein Innehalten in einer Zeit rasender naturwissenschaftlicher und technologischer Entwicklung.

 

Dr. Andrea Végh